new trinity and unity | Was heißt geisteswissenschaftliches Denken?


Was heißt geisteswissenschaftliches Denken?

Antwort auf eine kritische Stimme

[im Rahmen der Diskussion »Schwarzbuch Waldorf«
auf der >> Website der Süddeutschen Zeitung]

giini sagte:
Also Rudolf Steiner hat nicht an die Reinkarnation “geglaubt”, sondern er hat sie als Wirklichkeit “erkannt” und deshalb wissen wir dass sie wirklich ist?

Das ist KEIN wissenschaftliches Denken. Und es ist schlimmer als ich dachte.

Giini gibt also vor zu wissen, was „KEIN wissenschaftliches Denken” ist und meint damit meinen Hinweis, Steiner habe die Tatsache der Reinkarnation nicht - wie Kissler unterstellte - „geglaubt”, sondern als solche „erkannt”. Und fügt, auf meinen Hinweis gemünzt, etwas polemisch hinzu, das sei ja „schlimmer” als sie/er „gedacht” habe.

Versuchen wir, der Sache nochmals kurz auf den Grund zu gehen. Was ist „geisteswissenschaftliches” DENKEN?

Giinis Einlassung jedenfalls nicht. Sie ist ein klassisches Beispiel für das generelle Problem, um das es heutzutage und schon seit dem 19. Jahrhundert geht: Da wird in Tat und Wahrheit gar nicht „GEDACHT”, sondern aus Vorurteilen DRAUFLOSGEREDET, wie einem der vorurteilsbehaftete Schnabel so gewachsen ist: grade oder auch krumm!

Was ist von mir gesagt worden? Es wäre so, wie Giini es meint, wenn ich NICHT drauf hingewiesen hätte, dass Steiner aufs Gewissenhafteste für jeden Menschen, der sich seines Denkens bemächtigen will, gezeigt hätte: Jeder kann es durch die entsprechende STEIGERUNG SEINER DENKKRAFT erreichen, selbst zu prüfen, ob z. B. die Reinkarnation - wie ich sage - eine „anthropologische Realität” ist, die man als solche erkennen, will sagen: IN ERFAHRUNG BRINGEN kann. In der anthroposophischen Geisteswissenschaft kann, soll und darf nichts auf bloße Autorität hin geglaubt und vertreten werden - und sei es auch die Autorität „großer Initiierter” wie z. B. Buddhas (Steiner, in einer „Esoterischen Stunde” am 1. 9. 1912, GA 266/b, S. 404) Ihre Anthropologie rechnet mit dem souveränen Menschen als Möglichkeit in diesem Sinn; gilt daher auch für Giini wie für jeden anderen. Vorausgesetzt, man geht in der Erkundung des Sachverhaltes den von Steiner aufgezeigten geisteswissenschaftlichen Weg des erfahrenden Erkennens - oder einen diesem Weg vergleichbaren anderen.

Diese von mir erwähnte Bedingung hat Giini, in, wie mir scheinen will, etwas salopper, oberflächlicher Art entweder schon beim Lesen meines kurzen Hinweises gar nicht „mitgedacht” oder sofort wieder vergessen. Das heißt: Unser Alltags„denken” schlägt uns an dieser Stelle heute permanent ein Schnippchen. Es verlässt uns, kaum dass wir es betätigt haben und wirft uns zurück in die Fluten unserer Vorurteile und überhaupt aller DenkINHALTE, die unser Bewusstsein unablässig bevölkern, lässt uns nie mehr zur Besinnung im tätigen, aktiven, selbstverantworteten Denken kommen und lässt uns schon gar nicht im Denken selbst die Kraft bilden, deren es bedarf, um es als Wahrnehmungsorgan für die nichtsinnlichen Wirklichkeiten auszubilden. Es sei denn, wir erzeugen immer wieder übend eine Ausnahmesituation des Bewusstseins durch Momente - Minuten, Stunden, Tage - der geisteswissenschaftlichen Meditation und Konzentration.

Das ist schon in meiner ersten Einlassung vom 6.9.08, 11:06 angedeutet mit dem Hinweis auf die einschlägigen Texte im Werk Steiners, deren behutsames Studium schon den Anfang solchen Übens bilden können (Gleiches gilt natürlich auch von Texten anderer Autoren, die auch diesen Charakter tragen.). Dagegen reagiert bei Giini das „Denken” wie aus einem Instinktreflex auf den von mir namhaft gemachten Sachverhalt der Problematik „Glauben-Erkennen” (als einer Grundproblematik der materialistisch inspirierten Bewusstseinsentwicklung) in unserem Zeitalter. Bei ihr/ihm hat sich - wie in fast allem zeitgenössischen Bewusstsein selbst der „Wissenschaft”, vom Palaver der sog. Talkrunden in den Massenmedien gar nicht zu reden - daraus, bewusst oder indirekt, das Vorurteil von den angeblich prinzipiellen „Grenzen des Erkennens” herausgebildet - was zwangsläufig zur einer „Kultur” des bloßen Meinens und zum Glauben beliebigen Vorstellens führt.

Freilich: Es ist nicht leicht, sich am eigenen Schopf - denn nur der kann es vollbringen - aus dem das Denken lähmenden BEWUSSTSEINSSUMPF DES DENKVEERLORENEN ALLTAGSDENKENS zu ziehen. Gleichwohl kann jeder Mensch, der den ernsthaften Versuch unternimmt, das Erforderliche zu erüben - siehe meinen Hinweis auf die einschlägigen Schriften Rudolf Steiners - die Stichhaltigkeit oder Nichtstichhaltigkeit des von mir zunächst hypothetisch Festgestellten prüfen (das geht aber nicht per Knopfdruck, verlangt jedoch durchaus nicht mehr Zeitaufwand als das Erarbeiten der Grundlagen jeglicher anderen ernsthaften wissenschaftlichen Arbeit. Apparate, wie z. B. in der Gehirnforschung, sind dazu übrigens nicht erforderlich; erforderlich ist aber die beobachtende Erkundung der denkenden, geistig-seelischen Bewusstseinstätigkeit durch sich selbst „nach naturwissenschaftlicher Methode” (Steiner). Das IST die elementare, praktische, empirische Geisteswissenschaft, wie Steiner sie - im Anschluss an Goethe, Schiller, Fichte, Hegel u. a. - begründet hat. Dass SIE offenbar auch in den Kreisen der Waldorfschulen viel zu wenig gepflegt zu werden scheint, wäre äußerst bedauerlich, wenn es tatsächlich so wäre. Es sollte die engagierte Pflege die Regel sein, nicht die Ausnahme.

Wenn daraus eine Volksbewegung würde, wären wir „überm Berg” der geistigen Krise unserer Zeit. Denn dann könnte auch das ZEITALTER DER FREIHEIT; DER GLEICHHEIT UND DER BRÜDERLICHKEIT- mehr als 200 Jahre nach 1789 - sich endlich real zu entwickeln beginnen - wie es übrigens auch Steiner gegen Ende des I. Weltkriegs (als auch die Waldorfschulbewegung entstand) mit der Idee von der „Dreigliederung des sozialen Oraganismus” zu impulsieren versuchte und zum Schaden des 20. Jahrhunderts und bis heute von rechts, von links wie von der sog. Mitte ignoriert und auch nicht kommuniziert wird.

Zu allen, die es zunächst auch wie Giini sehen mögen, sei gesagt: Es ist noch nicht zu spät, in diese „Republik” des freien Geisteslebens, wirklicher (direkter) Demokratie und einer globalen Wirtschaft im Dienste des Bedarfs aller Menschen einzusteigen, - um daraus dann Schritt für Schritt alle notwendigen politisch-rechtlichen, wie pädagogischen, ökonomischen, ökologischen, sozialen und monetären Konsequenzen zu ziehen. Revolution durch Evolution der Begriffe. Näheres dazu im Netz bei wilfried-heidt.de und impuls21.net. Es ist dies ein Lebensmodell des „Genusses mit Bewusstsein” (Goethe), - Geisteswissenschaft: die wahre „Spaßgesellschaft”! Sie - wie nichts anderes - würde uns garantiert aus den materialistischen Dekadenzen der Gegenwart herausführen können. Nichts anderes! Wetten, dass …?

Wilfried Heidt
Institut für Zeitgeschichte
im Internationalen Kulturzentrum Achberg

siehe auch: http://www.wilfried-heidt.de/2008/09/06/schwarzbuch-waldorf


Trackbacks

  1. zapata33 trackbacked Veröffentlicht am 7. September 2008 um 19:53

    Was nottut!…

    In der Diskussion zu dem >> SZ-Artikel »Sind Waldorfschulen ein Verstoß gegen das Grundgesetz?« (Siehe auch meinen >> vorherigen Eintrag) hat eine Auseinandersetzung zu der Frage »Was heißt geisteswissenschaftliches Denken?« begonnen. Die Antwo…

  2. new trinity and unity | Wie kommt man zur Erkenntnis der Reinkarnation? pingbacked Veröffentlicht am 21. September 2008 um 18:18

    [...] auf einer >> Webseite der SZ wurde mir eine weiterführende Frage zu meinem zweiten Posting [>> auch auf ttt publiziert] [...]