new trinity and unity | Großer Ratschlag zur Finanz-, Schulden und Wirtschaftskrise


Großer Ratschlag zur Finanz-, Schulden und Wirtschaftskrise

Ist das »Integrale System einer Neuen Sozialen Architektur« hilfreich als Antwort auf die Krisen? Die Debatte


Statt einer Einleitung:

Ein Kommentar von Stefan Kornelius
Süddeutsche Zeitung 30.4.2010

EU: Krise der Währungsunion
Den Euro retten, um Europa zu retten

Der Kontinent braucht ein Bekenntnis zu seiner Währung, wenn er nicht zerfallen soll. Gefordert sind vor allem Deutschland und Frankreich.

Die Europäische Union hat kein besonderes Aufhebens gemacht, als Griechenland der Euro-Zone beitrat. Jetzt, da Griechenland im Schuldenloch sitzt und den Euro mit in den Abgrund reißen könnte, scheint es wieder so zu sein: Die übrigen Europäer, und vor allem der EU-Apparat, reagieren gleichgültig.

Europa ist müde. Müde nach zermürbenden Verhandlungen über einen Vertrag, der nach der Hauptstadt eines anderen, hochverschuldeten Landes benannt ist. Müde nach den Rangeleien um mehr oder weniger taugliches Führungspersonal, das vor allem nach Kriterien des Proporzes ausgesucht wurde. Müde von der Last, wie sie nun mal eine Gemeinschaft von 27 Staaten mit einer zähen Bürokratie darstellt. Wer allein die Besetzungs-Regeln für die neuen EU-Botschafterposten studiert, der verliert die Lust an Europa.

Das ist ein dramatisches Urteil für eine Gemeinschaft, die ihre Existenz viel zu oft als schicksalhaft bezeichnet hat. Jetzt, da es tatsächlich um den Bestand, um das politische Überleben geht, reagiert Europa apathisch. Denn nichts Geringeres als der Kern des vielbeschworenen politischen Experiments Europa steht nun auf dem Spiel: der Euro.

Der Euro ist eine Währung, die die Länder des Kontinents politisch zusammenschweißen sollte, auf dass sie stark genug werden für die kräftigen Marktwinde, die rund um den Globus pfeifen. Der Euro sollte sie zwingen, ihren politischen Zwist beizulegen und ein für allemal auszuschließen, was über die Jahrhunderte zum Kalender gehörte wie Aussaat und Ernte: Krieg. Der Euro sollte zur politischen und sozialen Harmonie zwingen, weil 27 Staaten auf so kleinem Raum zu viel Energie vergeuden, wenn jeder seine eigenen Vorstellungen von Souveränität und Selbstbestimmung pflegt. Der Euro aber ist ein dürrer Zweig, wie die Griechen-Krise nun lehrt. Die globalen Finanzstürme können den Zweig schnell knicken. Ein Investor in Bahrain oder in Shanghai wird Italien oder Spanien kein Geld mehr leihen wollen, wenn er nicht sicher sein kann, dass dort ordentlich gewirtschaftet und notfalls von den Verbündeten ordentlich gebürgt wird.

Der Euro, dieses Rückgrat der EU, kann ganz schnell gebrochen werden, wenn der politische Wille zum aufrechten Gang fehlt. Jetzt, da die Marktkräfte stärker sind als der politische Wille, zeigt sich das Defizit Europas: Der Gemeinschaft fehlt die Idee zur politischen Festigung des Euro. Es fehlen die Muskeln am Rückgrat. Dabei wird es nicht reichen, wenn die Euro-Regeln besser überwacht und die Haushalte strenger kontrolliert werden. Die gemeinsame Währung zwingt zu viel mehr gemeinsamer Politik: bei Wirtschaft und Investitionen, bei der Besteuerung, bei der Haushaltsplanung.

Die Staaten Europas, vor allem Deutschland und Frankreich, werden sich politisch viel stärker verzahnen müssen, wenn sie ihre Währung und damit ihre Gemeinschaft nicht verlieren wollen.

Ein erster Kurzkommentar zu »Den Euro retten, um Europa zu retten«:

1. Den Dingen muss auf den Grund gegangen werden! Handelt es sich bei dem, was Stefan Kornelius beschreibt, um Betriebsunfälle oder um Folgen grundlegender Systemfehler unserer politischen, wirtschaftlichen und monetären konstitutionellen Verhältnisse, die gemeinhin als »soziale Marktwirtschaft« und »parlamentarische Parteiendemokratie« bezeichnet wird?

Angesichts des beschränkten Platzes kann an dieser Stelle nicht wirklich begründet werden, warum es richtig ist, letzteres feststellen zu müssen. Und noch viel weniger kann eine Alternative dazu, also das, was als zu denken und zu tun notwendig ist, um den Teufelkreis, von Krise zu Krise zu taumeln, nachhaltig zu durchbrechen, entfaltet werden.

2. Auf Einzelheiten der Krankheitssymptome einzugehen führt daher nicht weiter. Kornelius kommt aber am Ende seines Artikels auf einen Punkt zu sprechen, der den Blick öffnet auf das Grundproblem, wenn man seinen Gedanken, es mangele in unseren heutigen Verhältnissen daran, dass die verschiedenen systemischen Prozesse der Wirtschaft, des Geldwesens und der Politik nicht im Maße des Erforderlichen »verzahnt«, also aufeinander abgestimmt sind.

3. Weil das aber seine Ursache in der Konstitution des etablierten Gesellschaftssystems hat, kann wirksame Abhilfe, d. h. der Ausweg aus der Krisenzivilisation nur durch eine neue konstitutionelle Rechtsordnung erreicht werden, die sich von allen aus dem 19. Jahrhundert über­kommenen Ideologien – also auch dem anachronistischen Wirtschaftliberalismus – verabschiedet und die Demokratie endlich so realisiert, wie es das Grundgesetz in Wirklichkeit in seinem Artikel 20 Abs. 2 als komplementäre Demokratie vorsieht, damit sich je und je als letzte Instanz der Gemeinwille konkret bilden kann und sich nicht mehr immer nur die stärksten [wirtschaftlichen und/oder parteipolitischen] Gruppeninteressen durchsetzen zu Lasten des Gemeinwohls. Darüber müsste jetzt angesichts der immer bedrohlicher werdenden Entwicklungen an nahezu allen gesellschaftlichen »Fronten« der Große Ratschlag beginnen.

4. Weil dieser Ratschlag bisher aber auch in den Medien nicht ansatzweise unter Einbeziehung aller einschlägigen Ideen geführt wird, hat uns der Artikel von Stefan Kornelius dazu angeregt, auf einer dafür eingerichteten Webseite damit zu beginnen. Wir laden alle ein, die Ideen für Antworten zu den Fragen der Krisen haben, sich an dieser Debatte zu beteiligen. Alles Weitere auf www.volksgesetzgebung-jetzt.de/blog/1/der-grosse-ratschlag.

Wilfried Heidt
Initiative Neue soziale Architektur

Nachstehend die obigen Gedanken in erweiterter Fassung:

Den Dingen muss auf den Grund gegangen werden! Betriebsunfälle oder Systemfehler? Was ist das zu denken und zu tun Notwendige? Versuch einer Antwort [bis zur eigentlichen Fragestellung]

Vorbemerkung: Die Problematik ist zu wichtig und zu komplex, als dass man sie mit einer kurzen Meinungsäußerung zureichend beschrieben könnte. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass meine Stellungnahme ausführlicher ausfällt und zunächst nur bis zur eigentlichen Fragestellung führt. Die Antworten müssten im »großen Ratschlag« eines umfassenden öffentlichen Diskurses gefunden werden.

I. Der Artikel von Stefan Kornelius endet mit den Sätzen: »Der Euro, dieses Rückgrat der EU, kann ganz schnell gebrochen werden, wenn der politische Wille zum aufrechten Gang fehlt. Jetzt, da die Marktkräfte stärker sind als der politische Wille, zeigt sich das Defizit Europas: Der Gemeinschaft fehlt die Idee zur politischen Festigung des Euro. Es fehlen die Muskeln am Rückgrat. Dabei wird es nicht reichen, wenn die Euro-Regeln besser überwacht und die Haushalte strenger kontrolliert werden. Die gemeinsame Währung zwingt zu viel mehr gemeinsamer Politik: bei Wirtschaft und Investitionen, bei der Besteuerung, bei der Haushaltsplanung. Die Staaten Europas, vor allem Deutschland und Frankreich, werden sich politisch viel stärker verzahnen müssen, wenn sie ihre Währung und damit ihre Gemeinschaft nicht verlieren wollen.«

Was soll sich nun der geneigte Leser unter diesem Kaleidoskop von mit Metaphern und Analogien mystifizierend beschriebenen Sachverhalten vorstellen, deren konkrete Zusammenhänge aber im Dunkel verborgen bleiben wie ein deus absconditus [verborgener Gott], der das alles im Griff zu haben scheint wie die Puppen eines Marionettentheaters? So kann jeder nur wie an einem kollektiven gesamtgesellschaftlichen Stammtisch sich seinen Reim drauf machen und palavern. Ein »politischer Wille zum aufrechten Gang«, den Kornelius reklamiert und der ja demokratisch konstituiert sein müsste, kann sich aus einer solchen verschleiert bleibenden sozialen Landschaft gewiss nicht bilden.

Am Schluss seines Artikels findet Kornelius aber doch noch ein brauchbares Bild, mit welchem man – erweitert verstanden – auf die Spur des Geheimnisses kommen kann. Dort nämlich, wo er davon spricht, dass »die Staaten Europas … sich »politisch viel stärker verzahnen« müssten. Versteht man diese Forderung im Sinn der Hauptaufgabe der Staaten, nämlich ihre Gesetzgebungen so zu gestalten, dass sie den Gesellschaften im Blick auf deren der Würde des Menschen verpflichteten wirtschaftlichen, sozialen, monetären, ökologischen und kulturellen Aufgaben Rechtssicherheit garantieren, dann heißt das doch, dass es daran offenbar fundamental mangelt, weil ja am laufenden Band in allen Bereichen des sozialen Lebens neue »Krisen« auftreten, die das »gemeinsame Haus Europa« gleichzeitig sozusagen durch Brandherde an allen Ecken und Enden bedrohen.

II. Nun herrscht bei den meisten Kommentatoren allseits die Ansicht vor, das seien Betriebsunfälle und man mobilisiert die Feuerwehr, um mal hier mal da die jeweils am höchsten schlagenden Flammen einzudämmen. Doch diese Sicht der Dinge und ihre jeweiligen Maßnahmen gehen an der Wirklichkeit vorbei. Was Stefan Kornelius beklagt, ohne es selbst schon wesensgemäß auf den Begriff zu bringen, wäre der richtige Hinweis, wenn endlich erkannt werden würde, dass das Problem viel grundsätzlicher ist und viel tiefer liegt. Es handelt sich in Wahrheit nämlich nicht nur um einzelne Systemfehler, sondern darum, dass unsere heutigen Gesellschaften als vierdimensionale »integrale Systeme« realiter zwar existieren bzw. danach drängen zu existieren, aber faktisch noch immer in ihren Lebensformen von aus dem 19. Jahrhundert kommenden Ideologien bestimmt sind.

Dieses Problem, dass die alten Begriffe den modernen systemischen Entwicklungstendenzen nicht folgen können und die überkommenen Gruppeninteressen sie noch immer hartnäckig verteidigen, besteht auch heute noch und hat sich mit dem Untergang des Staatskommunismus allenfalls bis zur Hälfte aufgelöst. Denn auch der privatkapitalistisch organisierte Wirtschaftsliberalismus, der sich im Prinzip global durchgesetzt hat, wirkt disfunktional zu den Erfordernissen des integralen Systems, das längst die assoziative und symmetrische Gestaltung der Verhältnisse im Sinne eines systemisch vernetzten Ganzen, also eine neue soziale Gesamtarchitektur des 21. Jahrhunderts verlangt, in welcher sich dann ein zeitgemäßer neuer Kulturbegriff, Staatsbegriff, Wirtschaftsbegriff und Geldbegriff entwickeln und manifestieren kann.

Wie einige andere denkt auch Stefan Kornelius schon in die richtige Richtung, nur noch nicht konsequent genug, wenn er darauf hinweist, dass »die gemeinsame Währung zu viel mehr gemeinsamer Politik zwingt«, also zur Harmonisierung und funktionalen Abstimmung der wirtschaftlichen, staatlich-sozia­len, fiskalischen und monetären Prozesse und man sollte auch das Kulturleben in diese notwendige Neustrukturierung der Gesamtverhältnisse unbedingt mit einbeziehen.

Dieses Erfordernis wird gelegentlich zum Beispiel auch mit der Forderung nach einer »Wirtschaftsregierung« [Sarkozy] angesprochen. Doch auch das trifft das Notwendige nicht zureichend. Wir müssen die traditionellen Struktur- und Funktionsbegriffe, wie sie sich mit den Staatsentwicklungen durch die Jahrhunderte hindurch gebildet haben, verabschieden und als neuen Ausgangspunkt die Idee des »integralen Systems« entfalten: Die heute entwickelten vier operativ-vernetzten sozialen Systeme – das kulturelle, das staatlich-politische, das wirtschaftliche und das monetäre – und deren institutionell-systemischen Verknüpfungs- bzw. Brückenorgane müssen  im sozialen Organismus auf der Grundlage relativer Autonomie [Selbstverwaltung] verfassungsrechtlich konstituiert werden. Das ist der Grundgedanke der Alternative zum Bisherigen aus den Forderungen der Gegenwart.

Weder wurde aus den einschlägigen akademischen Wissenschaften noch seitens der Publizistik und der »Politik« eine solche erkenntnisgestützte Idee des Notwendigen in die gegenwärtige Debatte zur »Finanz-, Banken- Wirtschafts- und Schuldenkrise« eingebracht. Auch Kornelius, der zwar manche Zusammenhänge aus dem Anlass »Griechenland« thematisiert und wie viele andere nach einzelnen Erscheinungsformen der Schuldenkrise hin analysiert, stellt die Frage nach einer Idee für den Ausweg aus der Misere, bleibt aber doch nur bei all den vieldisku­tierten Krisensymptomen hängen und kommt zu keiner Perspektive, die eine Systemalternative aufzeigen würde.

Dabei führen ihn seine Gedanken im letzten Satz seines Artikels mit dem Bild von dem Erfordernis eines stärkeren »Verzahnens« der heute nicht zureichend vom Ganzen her koordinierten systemischen Teilfunktionen [Wirtschaft, Politik, Gesetzgebungen usw.] immerhin schon bis an die Schwelle, von der aus man die ganze Fragestellung aus einer Erkenntnis des Notwendigen, das zu leisten vermag, charakterisieren kann. In aller Kürze seien hier wenigstens die Fragestellungen der Grundlinien der angedeuteten Alternative zu den bestehenden Verhältnissen für jedermann nachvollziehbar und auf das soziale Ganze bezogen skizziert:

III. In der Problemschilderung von Kornelius taucht schon fast alles auf, was in systemischer Hinsicht relevant, von ihm aber nicht als ein gegliedertes Ganzes, eben als ein sozusagen »integrales Sy­stem«, wie es der slowakische Theoretiker des Prager Frühlings« Eugen Löbl nannte, erkannt ist: Der aktuelle Anlass betrifft ja Abläufe in dessen »mo­­netärem System«. Sie sind derart, dass sie nach den im Privatkapitalismus wirksamen Begriffen zu asymmetrischen und disharmonischen Auswirkungen führen im System der »wirtschaftlichen Prozesse« [des Kreditierens der Investitionen, des Finanzierens der Arbeit usw.], in der Folge zu Engpässen und Schieflagen bei der Erledigung der Aufgaben und Erfordernisse des »staatlichen Systems« [Besteuerung, Sozialleistungen usw.] und schließlich zu einer immer stärkeren Verkümmerung der Subventionen, die in vielfältigster Weise – heute staatlich organisiert – das »kulturelle« System des gesellschaftlichen Ganzen zu tragen haben.

Hat man dieses Bild des sozialen Ganzen als Wirklichkeit unserer gegenwärtigen Gesellschaft in ihrer globalisierten Erscheinungsform vor Augen, dann kann man die zeitgemäßen Antworten auf alle sich stellenden Entwicklungsprobleme für jedes der vier Systeme finden. Die entsprechenden Fragen können wie folgt gestellt werden:

  • Welches sind die Aufgaben, denen das jeweilige System gegenüber den drei anderen nachzukommen hat?
  • Welches sind die Organe, deren es dazu jeweils bedarf?
  • Welche Instanz ist die in der Sache jeweils begründete Souveränität [Kompetenz]? und – da es sich, wie oben angedeutet, um ein »integrales« oder »vernetztes« Ganzes handelt, dessen Systeme in ihrem Verhältnis zueinander nicht naturhaft vorgegeben, sondern auf eine jeweilige Autonomie [= dezentrale Selbstverwaltung] gegründet sind – stellt sich
  • als abschließende Frage diese: Welcher Organe bedarf es, um die vier Systeme so miteinander zu verknüpfen und aufeinander abzustimmen, dass das Optimale [nach dem Maße des »Gerechten«] für den Bedarf der Einzelnen wie letztlich des Menschheitsganzen erreicht werden kann?

IV. Das Ergebnis dieser Fragen und Antworten würde sich dann zu manifestieren haben in einer vierfach neuen gesellschaftlichen Gesamtarchitektur, die dann als eine gleichermaßen nach-kom­mu­ni­sti­sche wie nach-kapitalistische Ordnung jenseits der anachronistischen Ideologien des Wirtschaftsliberalismus und des Staatssozialismus in Erscheinung träte und sich im Prinzip ebenso in Einzelstaaten wie in Staatenvereinigungen [z.B. der EU] wie auch global entfalten könnte.

Es wird an dieser Stelle bewusst darauf verzichtet, für dieses und jenes Problem schon Antworten zu geben. Man sollte, wie Kornelius ganz richtig schreibt, den Zwang, den die in die Krise geführte »gemeinsame Währung« jetzt auf die Tagesordnung gesetzt hat, nämlich »viel mehr gemeinsame Politik« zu entwickeln, als die Aufforderung verstehen, den großen gesellschaftlichen Ratschlag als offenen und öffentlichen Diskurs in den Medien, der Wissenschaft und der Politik über die oben unter III. aufgeworfenen Fragen eröffnen und ihn solange führen, bis überzeugende Ergebnisse erzielt sind. Ergäben sich Alternativen, sollte darüber durch Bürgerschaftsentscheid Beschluss gefasst werden [siehe den entsprechenden Vorschlag auf www.volksgesetzgebung-jetzt.de].

V. Im übrigen: Unter besonderer Berücksichtigung eines von den traditionellen Ideologien aus dem 19. Jahrhundert emanzipierten, selbstverwalteten monetären Systems, das aufgabenspezifisch in das soziale Ganze integriert zu denken wäre, ist bereits am 23. Dezember 1978 der »Aufruf zur Alternative« als Stimme aus des Sphäre der Kunst [J. Beuys] in der Frankfurter Rundschau erschienen [siehe www.impuls21.net/pdf/aufruf_zur_alternative.pdf]. Man hätte also schon seit mehr als 30 Jahren mit der Prüfung dieser Vorschläge beginnen und – dessen darf man sicher sein – die gegenwärtigen Krisen durchwegs vermeiden und längst eine Entwicklung einleiten können, wie Bundespräsident Horst Köhler sie am 29. April in seiner Rede beim IX. Munich Economic Summit gefordert hat, als er – freilich auch ohne den Vorschlag einer konkreten Idee zu machen – sagte, es gehe jetzt erstens um ein Finanzsystem »unter dem Primat demokratischer Politik und im Dienst der Gesamtwirtschaft« und wir brau­chten jetzt zweitens »eine Wirtschaft im Dienste der gesamten Gesellschaft« und drittens »ein gesellschaftliches Miteinander, zu dem alle beitragen.« Diese »drei Gestaltungsaufgaben« nehme uns niemand ab, fuhr Köhler fort. Sie verlangten »den Mut der Politik, die Einsicht der Bürger und die Bereitschaft zur demokratischen Selbstbestimmung.«

Die Frage an Horst Köhler, der ja 1978 auch kein Analphabet mehr war und gewiss auch die Frankfurter Rundschau kannte, wäre nun, ob er seinerzeit die Botschaft dieses »Aufrufs zur Alternative« aus dem Reich der Kunst vernommen und falls ja, warum auch er, als junger Mann immerhin schon in den Dreißigern, geschwiegen hat. Und falls ihm diese Veröf­fent­lichung damals entgangen war, ob er sie jetzt, wo sie noch aktueller ist als damals, studieren und dazu Stellung nehmen wird, ist sie doch bis heute die einzige Publikation ihrer Art, die ein neues Licht wirft auf das, was zu den gegenwärtigen Krisen – allerdings eher zur Vernebelung als zur Klärung der Sachverhalte – massenhaft in Umlauf gesetzt wird.

VI. Wenn in dieser Kakophonie der Analysten, der Analytiker, der Journalisten und »Wirtschaftsweisen«, der Fachgelehrten, Manager, Unternehmer und Politiker die unterschiedlichsten »Schuldigen« für die Krisen ausgemacht werden, vergessen deren Äußerungen durchwegs den Hauptverantwortlichen für die Misere: nämlich uns alle, die mündigen Bürgerinnen und Bürger. Denn sie, niemand sonst, sind doch in der Demokratie der Souverän für den geforderten »politischen Willen zum aufrechten Gang« [s.o.]. Und dafür kann auch die Ausrede nicht herhalten, wir hätten als diese souveräne Bürgerschaft in unsrer real-existierenden Demokratie bisher keine Möglichkeit, die Gesetze, nach denen sich ja alles Geschehen richtet, das die Gesellschaft von einer in die nächste »Krise« treibt, zu bestimmen. Das ist zwar richtig. Aber wir hätten es längst än­dern können.

Denn: Seit Jahrzehnten liegen die Vorschläge dazu auf dem Tisch des »Hohen Hauses«, des Deutschen Bundestages, der nolens volens zunächst zu entscheiden hat, dass wir grundgesetzkonform endlich eine solche Demokratie realisieren, in welcher die Bürgerschaft nicht nur die Volksvertreter wählen, sondern außerdem auch selbst Gesetzesinitiativen ergreifen und beschließen kann. Es wird geschehen, wenn genügend viele es wollen! Wie das durch den »politischen Willen« des demokratischen Souveräns, also mit der entsprechenden direkten Willensbe­kundung der Bürgerschaft selbst, herbeizuführen ist, dazu, den Gedankengang abschließend, noch ein praktischer Hinweis zur Beteiligung eines jeden, der daran interessiert ist.

Nochmals Horst Köhler: Er sprach in München auch in hehren Worten von der »demokratischen Selbstbestimmung« – wieder ohne jede Erklärung, was er damit gemeint hat. In einer derzeit dem Deutschen Bundestag vorliegenden Petition [siehe www.volksgesetzgebung-jetzt.de/petition-2009] könnte er finden, was die entsprechende Initiative – in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2010 – zum Begriff der »demokratischen Selbstbestimmung« aus der Zivilgesellschaft [im Rahmen der komplementären Demokratie, wie das Grundgesetz sie vorschreibt] als Konsequenz für eine »dreistufige Bürgerschaftsgetzgebung« fordert. Die Frage an den Herrn Bundespräsidenten ist, ob er seine allgemeinen Vorstellungen auch im Sinne dieser Forderung und darüber hinaus im Sinne der oben konkretisierten viermal vierfachen Fragestellung anerkennen und das Anliegen für einen »großen Ratschlag« darüber unterstützen könnte. Man darf gespannt sein, ob seinen schönen Worten zunächst diese wichtige Tat der Unterstützung dieses volkspädagogischen Schrittes folgen wird. Auch das wird ein Gradmesser für die Glaubwürdigkeit seiner Worte sein.

Wilfried Heidt, Initiative Neue soziale Architektur
www.impuls21.net/neue-soziale-architektur

P.S. Bis für eine möglichst breite öffentliche Aufmerksamkeit und Beteiligung eine optimalere Lösung zur Realisierung des angeregten »Großen Ratschlags« über die Perspektive einer systemischen Alternative zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen aus den Anlässen der vom monetären System ausgehenden Krisen gefunden ist, wird auf der Webseite www.volksgesetzgebung-jetzt.de/blog/1/der-grosse-ratschlag ein Platz für diesen Diskurs eingerichtet.

>> Kommentar als pdf

>> siehe dazu auch: Zeichen der Zeit - 03-05-2010