new trinity and unity | Zeichen der Zeit - 15-05-2010


Zeichen der Zeit - 15-05-2010

Zum Todeskampf des Finanzkapitalismus - Auf dem Weg zum Erwachen der Erkenntnis des „integralen Systems” der vier Funktionen des sozialen Organismus auf der Stufe seiner erreichten Entwicklung?

Liebe Leser!

1. ist es nun bewusste Verweigerung oder doch „nur” jenes Phänomen, welches Rudolf Steiner in seinem bedeutenden Vortrag am 12. Juni 1919 in Heidenheim [GA 193 Luziferische Vergangenheit und ahrimanische Zukunft, S. 86 ff] mit dem Satz charakterisierte, als er sagte, es habe die Anthroposophie „im Grunde genommen eigentlich keine anderen wirklichen Gegner als lediglich die Bequemlichkeit, die Trägheit des inneren Menschen …”, dass auf meine mehrfache Bitte, man möge sich doch beteiligen an der Debatte, die ich in mehreren Folge mit Kommentaren zu einem Ausgangstext von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung [„Geld regiert die Welt - wer regiert das Geld?"] begonnen habe und die in leicht erweiterter Fassung auch auf der Seite von volksgesetzgebung-jetzt.de erscheint [http://www.volksgesetzgebung-jetzt.de/blog/1/der-grosse-ratschlag], bisher nur wenige sich unterstützend beteiligen. Dabei würden doch wenige Sätze genügen, um die Aufmerksamkeit auch der Zeitungsmacher selbst auf diese Erörterungen zu lenken, ganz zu schweigen davon, dass diese in der Öffentlichkeit doch nur geweckt werden kann, wenn eine Bewegung sichtbar wird, die sich um die hier beschriebene Idee versammelt.

2. In dieser Debatte mache ich ja den Versuch, an Gesichtspunkte des gegenwärtigen Diskurses zur „Finanzmarktkrise” anzuknüpfen, in denen sich, darauf habe ich in der letzten Ausgabe der ZdZ bereits hingewiesen, jene Entwicklungstendenz meldet, die ein Zeichen dafür ist, nach welcher Gestalt der soziale Organismus aus den in ihm wirksamen „Produktivkräften” drängt und daran gehindert wird, diesem Drängen zu folgen, weil anachronistische Begriffe und Interessen die „Produktionsverhältnisse” in den überkommenen Strukturen festhalten. Ich stütze mich bei meinen Beschreibungen auf den Ideenzusammenhang des von Rudolf Steiner ab 1917 in die Zeitgeschichte hineingestellten „Dreigliederungs-Impulses” und nehme dabei die wesentlichen Weiterentwicklungen dieses Ideenzusammenhanges auf, wie sie bis in die Gegenwart von Schülern Steiners erarbeitet aber flankierend ohne Bezugnahme darauf auch im Werk zumindest eines Vertreters des „Prager Frühlings”, Eugen Löbls, gedacht wurden.

3. Auch wenn ich mich - vielleicht zum Missfallen des einen oder anderen Lesers - wiederhole: Soweit ich sehe ist das noch immer der bisher einzige auf der anthroposophischen Sozialwissenschaft gründende symptomatologisch-goetheanistisch geprägte Beitrag in der gegenwärtigen öffentlichen „Krisen”-Debatte von Belang. Was z. B. dieser Tage aus der GLS-Bank verlautete ist gewiss keine derartige Wortmeldung und bringt nicht mehr als eine weitere Stimme ins kakophonische Gewirr der Stimmen aus Anlass der „Griechenlandhilfe”

4. Doch zahlreicher werden jene, die mit entsprechenden Formulierungen zu erkennen geben, dass sie nicht mehr umhin können, die Notwendigkeit der historischen Tendenz „wittern”, aus einem systemischen Verständnis des sozialen Ganzen die Problematik des marktmäßig eingerichteten Finanzwesens zunächst im Blick auf die ökonomischen Prozesse zu konstatieren, auch wenn sie jetzt, wie Angela Merkel heute in der SZ, „eine stärkere Verzahnung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik in Europa” fordern, dabei aber noch meinen, es seien „die hohen Haushaltsdefizite in den Staaten mit der Gemeinschaftswährung” die Ursache der Probleme, die man mit dem Mittel von mehr staatlicher Kontrolle, mehr Regulierungen der Finanzmärkte und Verboten bestimmter „Finanzprodukte” ausschalten könne, so in trauter Eintracht nicht nur Merkel, sondern auch der DGB-Chef Sommer in der „Passauer Neuen Presse” und Vizekanzler Westerwelle, gestern noch politischer Agitator fürs Neoliberale, heute im Magazin „Focus”. Aus Brüssel meldet sich EU-Kommissar Oettinger zu Wort und erklärt, auf die Frage, ob wir „eine europäische Wirtschaftsregierung” brauchen [wie Sarkozy es schon länger fordert], immerhin: „Die europäische Währung braucht eine stringente, gemeinsame Finanzpolitik und wir brauchen Instrumente, um stabile Haushalte in den Mitgliedsstaaten herbeizuführen.” Man habe „die bestehenden Stabilitätsregeln zwar gekannt, aber nicht eingehalten.” Eine „engere Abstimmung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik”, wendet Gerwart Herter vom Deutschlandfunk ein, höre sich „etwas lapidar” an [auch er kennt natürlich die Idee des „integralen Systems" noch nicht, hört daher auch nicht, dass Oettinger als praktisch Verantwortlicher immerhin - vom Sachzwang getrieben - schon anklopft an die Idee der unabdingbaren kommunikativen Vernetzung des sozialen Ganzen durch ständige Organe intersystemischer Beratung und Verständigung [Integration] als Voraussetzung dezentraler souveräner Entscheidungen der jeweiligen Systemsphäre, indem er auf folgendes hinweist:

„In den letzten Jahren haben wir den Haushalt dann bekommen, wenn er vollzogen war, das heißt, nach Rechnungsabschluss, und haben dann eben festgestellt, jawohl, hier vier Prozent Schulden, hier sechs Prozent, hier zehn Prozent, hier 12 Prozent. Hätten wir die Haushalte Griechenlands zum Beispiel oder auch andere Haushalte zuvor gekannt, im Entwurfsstadium, als sie geplant, aber nicht vollzogen waren, bevor die Parlamente darüber beraten haben, hätten wir hineinsehen dürfen, hätten wir auch die entsprechenden Kontrollrechte durch Eurostat vor Ort gehabt, hätte man mit Sicherheit früher und erfolgreich warnen können und der Regierung entsprechende Hilfe geben können, dass solche Haushalte erst gar nicht in Kraft treten.”

Obwohl sich Oettinger weitergehenden Erwägungen in dieser Richtung zunächst noch verschließt: Immerhin kann man ein erstes Dämmern der Einsicht in die Notwendigkeit einer vorausschauenden „Planung” alles dessen bemerken, was im „integralen System” prozessual zusammenhängt und zusammenwirkt [wie in einem hochentwickelten biologischen Organismus] und des Einsatzes kollektiver Vernunft bedarf, die sich nur im kompetenten Gespräch bilden kann - im Gegensatz zum Vertrauen auf blinde Marktkräfte!

5. Auf diesem Weg, scheint es, befindet sich auch Bundespräsident Horst Köhler, wenn man seiner Karlsruher Rede zur Amtseinführung von Andreas Vosskuhle als neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichts am 14. Mai gut zuhörte. Er hat schon genau zwei Jahre vorher Anfang des Ausbruchs der Krise gegenüber dem „Stern” die diese verursachenden „Weltfinanzmärkte” als „Monster” gebrandmarkt, das „in die Schranken gewiesen werden” müsse. Ganz offensichtlich hätten die Banker, so war damals zu lesen, so viele Derivate geschaffen, dass sie am Ende selbst nicht mehr verstanden hätten, wie diese wirkten. “Die Überkomplexität der Finanzprodukte und die Möglichkeit, mit geringstem eigenem Haftungskapital große Hebelgeschäfte in Gang zu setzen”, hätten das Monster wachsen lassen, das „kaum noch Bezug zur Realwirtschaft” habe. Dazu gehörten auch „bizarr hohe Vergütungen für einzelne Finanzmanager.” Die Finanzwelt habe sich “mächtig blamiert”, sagte Köhler weiter. Er vermisse aber noch immer als Schuldbekenntnis “ein klar vernehmbares Mea Culpa”. Zur Kontrolle der Weltfinanzmärkte forderte der Bundespräsident eine “strengere und effizientere Regulierung”. Erforderlich seien “mehr Eigenkapitalunterlegung für Finanzgeschäfte, mehr Transparenz und auch eine globale Institution, die unabhängig über die Stabilität des internationalen Finanzsystems” wache. Mit dieser Aufgabe solle der Internationale Währungsfonds (IWF) betraut werden.

Da tauchte also auch schon der Gedanke auf, dass das monetäre System kontrollierender Organe bedarf. Zwei Jahre später aber ist in dieser Richtung seitens der Politik noch immer nichts passiert. Im Gegenteil. Obwohl sich die Finanzkrise inzwischen zu einem Flächenbrand ausgeweitet hat, kam heute in den News die Meldung, dass zum Beispiel die mit staatlicher Hilfe gerettete Commerzbank ihren Managern erneut noch höhere Boni einräumen wolle. Vor zwei Tagen variierte Köhler zunächst lediglich seine geharnischt klingende Kritik von 2008, als er sagte, „demokratische Politik habe die Aufgabe, unsere offene Gesellschaft und unser aller Freiheit zu schützen, indem sie dem freien Spiel der Interessen klare Grenzen zieht und diese Grenzen auch durchsetzt.” Was nicht geschah. Vielmehr die Wettspiele mit den Kreditversicherungen u. a. munter weiter getrieben wurden, so dass er jetzt deutlicher werden musste und erklärte, „Dass auf einseitige Gewinnmaximierung gepolte Finanzakteure jetzt das Wohl und Wehe ganzer Völker bestimmen können, liegt eindeutig auch und sogar zuerst an politischen Versäumnissen, das heißt an einer unzureichenden staatlichen Regulierung der Finanzmärkte, an ausgeuferter Staatsverschuldung und am bisherigen Unvermögen der Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe, die für den inneren Zusammenhalt der Währungsunion nötigen Strukturreformen in den Mitgliedstaaten voran zu bringen.” Er meint jetzt: Die Ursachen der Krise - anarchische Finanzmärkte, überschuldete öffentliche Haushalte und der Schlendrian und das Durcheinander der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitiken - müssen in Ordnung gebracht werden. Nur dann werden wir den Teufelskreis der immer größeren Finanzkrisen durchbrechen können.”

Da werden zunächst nur die Defizite abermals angesprochen. Doch muss sich Köhler als der oberste Repräsentant des Landes da nicht wie ein Hampelmann vorkommen, der eben seine Sonntagsreden hält, aber außer einer kurzfristigen medialen Beachtung auf keiner Ebene etwas bewegen?

6. Für unsere Arbeit ist gleichwohl wichtig zu identifizieren, dass auch bei einem solchen hochrangigen Amtsträger, der in diesem Fall ja früherer der Direktor des IWF war, also als ein Topexperte gelten kann, sich untergründig im Bewusstsein der Gestaltwandel das sozialen Organismus „meldet”, wenn er im Gegensatz zu den meisten anderen Einschätzungen des Versuchs, auf die jüngste „Verschärfung der Finanzkrise mit unabsehbaren Konsequenzen für die Stabilität des Euro und des europäischen Einigungswerkes insgesamt” mit verschiedenen Maßnahmen zu reagieren, betont, er „habe großen Respekt vor der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, in dieser extremen Ausnahmesituation Schuldentitel von Euro-Ländern anzukaufen, weil auch das zur Stabilisierung der Lage” beitrage - obgleich diese Entscheidung „unorthodox” gewesen sei und „Risiken” berge [nämlich sich inflationsfördernd auswirken könne]. Deutet sich hier an, dass die Funktion der Zentralbank im monetären System nicht mehr nur dogmatisch nach ihrer bisherigen Positionierung im Ganzen gesehen, sondern immerhin ein neuer Aspekt in den Blick genommen wird?

7. Köhler schloß vorgestern in Karlsruhe seine Überlegungen zu den „Ordnungsaufgaben, die jetzt in Europa anstehen”, mit dem Rat, „dass wir uns jetzt endlich aktiv und konstruktiv an der Beratung über Ziele und Verfahren einer wirksamen Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Euro-Gruppe beteiligen. [...] Um die nötigen Entscheidungen vorzubereiten, muss intensiv kommuniziert werden, möglichst mit und in allen Bereichen der Gesellschaft, um alles Wissen und alle Kreativität zu nutzen, die in unsrem Land stecken. Und wenn demokratisch entschieden ist, dann muss wieder kommuniziert werden, denn die ökologische Transformation, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wird nur gelingen, wenn sie überall verstanden und bejaht und wenn sie dezentral gestaltet und verwirklicht wird; und so ist es bei den meisten Veränderungen, die wirklich wichtig und erstrebenswert sind. Darum wünsche ich mir zu vielen Themen so intensive Debatten wie die über die friedliche Nutzung der Kernenergie [...]. Alles das erfordert immer denselben Dreischritt: analytische Beratung, sachorientierte Entscheidung und umsichtige Verwirklichung. Das ist die Essenz guter Politik.”

Da tritt also sogar auch schon die Idee des „großen Ratschlags” auf die Rampe und die „neue soziale Architektur” nimmt pragmatisch erste Gestalt an - wenn man es heraushört. Was aber nicht bedeutet, dass Köhler, wenn man ihn beim Wort nähme und ihm diese Idee in ihrer entwickelten Erscheinungsform beschreiben würde, sie seinerseits vernähme als das, was in seinen Worten schlummert. Und so geht zur Zeit vieles um, das darauf wartet, gehört, gesehen und in einen großen volkspädagogischen Prozess eingebracht zu werden.

8. Deshalb, liebe Freunde, ist es mir um so unverständlicher, dass viele, die doch seit vielen Jahren Wegbegleiter der Arbeit waren, die sich jetzt als eine Vorbereitungszeit entpuppt für das, was jetzt in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts wie mit apokalyptische Feuerzeichen geschrieben steht an der zeitgeschichtlichen Entscheidungswand der Gegenwart, ihre mittätige Unterstützung dem versagen, was von hier aus versucht wird, um den unbewussten sozialen Werdekräften auch im Zeitbewusstsein zeitgemäß zum Durchbruch zu verhelfen. Auf der Webseite www.volksgesetzgebung.de ist alles zubereitet, um dieses Bestreben auf einfachste Weise und minimalem Aufwand zu unterstützen und mitzuhelfen, es zu verbreiten.

Wenn jetzt zum Ökumenischen Kirchentag das Motto „Damit ihr Hoffnung habt” wieder mehr als 100 000 Teilnehmer angelockt hat, ohne dass letztlich außer dem Eventcharakter einer solchen Massenveranstaltung eine wirkliche Spiritualität des 21. Jahrhunderts anwesend war und hätte erfahren werden können: Sollten wir dann nicht das, was wirklich zum Hoffen berechtigen kann, miteinander aufgreifen und multiplizieren, weil doch - oder ist es anders? - dazu gar keine Alternative da ist, aus der man diese Hoffnung begründen könnte?

Einstweilen beste Grüße

Wilfried Heidt