new trinity and unity | Zeichen der Zeit - 30-09-2010


Zeichen der Zeit - 30-09-2010

Stuttgart aktuell und die Frage nach der „Stunde des Widerstands”

Liebe Freunde,
nachdem heute um die Mittagszeit aus Stuttgart gemeldet wurde, dass dort der Konflikt um die Baumaßnahmen um das Bahnhofsareal eskaliert, weil auf dem Schlosspark in Kürze offenbar mit dem Fällen des alten Baumbestandes begonnen werden soll und die Parkschützer und einige Tausend Demonstranten durch eine massive Polizeiphalanx, mit Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken bewaffnet, vom Gelände isoliert werden soll, stehen sich nun die Fronten direkt gegenüber. Gleichzeitig ließ ein Sprecher der Bahn verlauten, am Bauprojekt „Stuttgart 21″ werde nichts mehr geändert - „auch nicht durch eine Volksabstimmung”.

Bevor auch wir nun gefragt sind, wonach nach dieser politischen Kriegserklärung der Widerstand mit der weißen Nelke jetzt verlangt - wir hatten ja gerade die „Stuttgarter Erklärung” in Umlauf zu setzen begonnen [s. Anhang], will ich euch noch jenes Dokument schicken, das wir am 6. Dezember 1994 dem Stuttgarter Landtag vorgelegt hatten [der Vorgang, der vom Landtag seinerzeit nicht mal beantwortet, geschweige denn in seiner Forderung in Erwägung gezogen wurde - sie war identisch mit dem, was wir jetzt auf die Stufe eines ersten baden-württembergischen Volksbegehrens gehoben haben]. Es wird das alles in der erweiterten Neuauflage des „Stuttgarter Memorandums, die ca. Mitte Oktober erscheinen wird, dokumentiert sein; das Memorandum wird seinen Platz einnehmen in memoriam unserer beiden Freunde und Mitarbeiter Günter Gehrmann [… 2006] und Bertold Hasen-Müller [… 2002], die den beigefügten Brief damals mit unterzeichnet haben und ohne deren Mitwirkung dieses Projekt damals und also auch heute nicht in das Zeitgeschehen hätte treten können.

Ihr könnt auch dieses als ein Beispiel pars pro toto ansehen für die Arbeitsweise, die von mir vom ersten Tag meines selbstverantwortlichen Wirkens an [Ostern 1961] gepflegt worden ist. Ich habe über diese Arbeitsweise u. a. in jenem längeren Aufsatz berichtet, der am 13. Juli 1997 im Dornacher Nachrichtenblatt „Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht” publiziert wurde [s. http://www.sozialimpuls.info/ Texte, Bücher/ Dritte Umlaufzeit >T-Heidt „Anthroposophische Gesellschaft und die Zeichen der Zeit" anklicken]. Damals hatten sich aus Achberg längst alle schon verabschiedet, die am Anfang heilige Treueschwüre abgegeben hatten und betrieben außerhalb unseres Unternehmens ihre eigenen Projekte [die Lehrer die Schule, Schilinski sein „Modell Wasserburg", Weber & Co das Humboldt-Kolleg, Lauers ihr Sponsoring und andere - wie z. B. R. Rappmann - stellten ihre Projekte a priori extern. Nur die Arbeiten in meiner Verantwortung - die Jahreskongresse, die Sommeruniversitäten, mindestens vier Tagungen im Jahr, die Forschungen auf den Gebieten der Sozialwissenschaft, der Geschichte und Zeitgeschichte in geisteswissenschaftlicher Sicht, die zahlreichen politischen Projekte, die vielen Publikationen, der Verlag und mehr als ein eineinhalb Jahrzehnte die Grundlagenarbeit für die Zusammenhänge des Unternehmensverbandes der Aktion dritter Weg: das alles war zu „erfinden" und zu entwickeln mit den Mitteln des Instituts, das ich 1972/73 im Achberger Unternehmen als Abteilung desselben gegründet hatte zusammen mit denen, die diese Arbeit unterstützten und sich mit ihren Beiträgen daran beteiligten.

Dass sich mit den Jahren darin ein Generationswechsel ergab, ist einerseits erfreulich, liegt aber andererseits in der Natur unseres begrenzten Lebens: viele meiner ehemaligen Mitarbeiter sind in den letzten zehn/zwanzig Jahren verstorben. Doch sind neue Freunde zu uns gestoßen und bilden heute ein neues Rückgrat für die Arbeit - wenn auch andrer Art als es in den ersten zwanzig Jahren der Fall war. Doch so, dass die Kontinuität des roten Fadens besteht. Dafür bin ich dankbar. Am Rande nur sei hinzugefügt, dass alle finanziellen Mittel, die wir in dieser Arbeit bisher einsetzen konnten, zu uns gekommen sind aus der Anerkennung dieser Arbeit [wobei auch nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Großteil der baulichen Investitionen, die erforderlich waren, um die physischen Notwendigkeiten für die Stätte zu schaffen, an der diese Arbeit gedeihen konnte, durch freie Leistungen und Spenden von Freunden und durch eigene private Mittel aufgebracht wurden]. Das so gebildete Kapital ist heute schuldenfrei und wird Teil einer fiduziarischen Stiftung, die es im Sinne der Gründung dieser Arbeit als Träger einer Freien Hochschule für aktive Geisteswissenschaft für die zu­künf­tigen Aufgaben des Internationalen Kulturzentrums Achberg verwalten wird. Jeder interessierte Zeitgenosse ist eingeladen, sich an dieser Arbeit und an diesen Aufgaben im Sinne der dabei unabdingbaren Bedingungen einer solchen Hochschule zu beteiligen.

Eines ihrer Arbeitsergebnisse war 1994/95 das „Stuttgarter Memorandum”, das damals die erste Dokumentation war wie sich in Baden-Württemberg historisch der gesellschaftliche Aspekt des „sozialen Ich”, also des plebiszitären Elementes in der modernen Demokratie entwickelt hat, verbunden mit der Perspektive wie dieses Element auf die Höhe der Zeit weitergeführt werden müsste. Das ließ sich damals noch nicht realisieren. Heute können wir aber auf diese entscheidende Vorarbeit zurückgreifen. Zeitgenosse hätte diese Arbeit leisten können; denn niemand aus er selbst hat ihn daran gehindert. Doch niemand hat es getan. Wieder ist es eine singuläre Tat unseres Instituts. Und jeder, der verstehen kann, worum es sich handelt, steht nun vor der Gewissensfrage, ob und in welchem Maße seiner Lebenszeit er sich jetzt am Versuch der Verwirklichung unterstützend beteiligen will. Was bis jetzt dafür zur Verfügung steht kann man auf der im Aufbau befindlichen Webseite www.demokratie-initiative21.de besichtigen und bestellen. Ob der neue Versuch gelingen wird ist allein eine Frage der Zahl der Menschen, die sich nun entschließen werden wirklich mitzumachen.

Nun aber zurück zur aktuellen Aufgabe: Lest bitte das im Anhang beigefügte Dokument vom 6. Dezember 1994 und behaltet im Bewusstsein, dass wir mit unserem Einsatz für das plebiszitäre Element heute nicht einer persönliche Ambition folgen, sondern wir verfolgen als Arbeitsgemeinschaft in der Gemeinschaft mit unseren Toten und mit den zuständigen, unser Wirken für die weltgeschichtliche Konstituierung des „sozialen Ich” ja erst ermöglichenden Wesenheiten der geistigen Welt Überpersönliches in Menschheitsverantwortung.

Dass es gleichwohl auch heute auch in meiner nächsten Umgebung dem widerstrebende Kräfte gibt, die aus einem Verhaftetsein im Egozentrischen auch eine Art Feldzug führen gegen die Repräsentanz dieser spirituellen Identität und Kontinuität der ja bisher nur von diesem Ort ausgehenden jahrzehntelangen singulären Arbeit, das gehört in diesen Zeiten freilich zu dem, was im Sinne eines heutigen Christentums, wie Rudolf Steiner es im geisteswissenschaftlichen Sinn verstanden wissen wollte [s. auch Peter Tradowsky, Die Stunde des Widerstands, 2010, S. 41 f ], erduldet werden muss. Es kann sich dem der davon in erster Linie Betroffene selbst nicht zur Wehr setzen; er kann sich einzig unter den Schutz dessen stellen, dem Ernst Barlach, von dem der Satz stammt „Leiden und Sterben sind die Organe des Werdens”, mit seiner Bronze-Skulp­tur „Geistkämpfer” wenige Jahre bevor die Dämonie Hitlers auch ihn zu einem Verfemten stempelte, ein Gesicht gegeben hat: das Gesicht Michaels, des Antlitzes Christi [Es ist übrigens 2010 das 66. Jahr, seit dem der Geistkämpfer in Kiel wieder öffentlich zu sehen ist, nachdem er durch die Nazi-Zeit versteckt gerettet werden konnte]. Und ich empfinde es als eine tiefreichende Konkordanz, dass auch Tradowsky darauf explizit zu sprechen kommt und den „Geistkämpfer” in einer leider sehr schlechten Abbildung auf die erste Seite seines Buches stellt. Tradowsky schreibt: „Der leicht gesenkte Blick fasst das Denken bewusst und sonnenklar.” Barlach sagte einmal, sein Werk sei „die äußere Darstellung eines inneren Vorgangs” und er nennt es in seinen Teilen eine „Gruppe der Überwindung, Selbstüberwindung.” [Einen Kommentar zum Buch Tradowskys werde ich an anderer Stelle geben].

Zu dem, was sich augenblicklich in Stuttgart abspielt, möchte ich nur hoffen, dass es trotz aller Mobilisierung brachialer Staatsgewalt gegen den Aufstand des Gewissens vieler junger, älterer und alter Menschen, die sich mutig für das Schützenswerte engagieren, nicht auch noch Menschenleben kosten wird, wenn der letztlich hinter dieser Macht stehende Mammonismus einmal wieder spektakulär seine grinsende Fratze zeigt [Indem ich das schreibe meldet das Radio, dass es bereits eine erste Tote und mehr als einhundert Verletzte gebe].

Doch man darf bei all dem nicht vergessen, dass ich mit meinen Freunden ja schon vor anderthalb Jahrzehnten die optimalen sachlichen Voraussetzungen geschaffen hatte, um auch von Baden-Württemberg aus den Geisteskampf ums Plebiszit zu führen. Doch leider fehlte damals und bis heute die seelische Wachheit selbst unter den an sich „Eingeweihten”, um sich darüber mit dem Studium des Memorandums - einer Denk-Schrift - sie meditierend kundig zu machen. Viele von denen, für die Stichworte wie „mehr Demokratie” oder „Volksentscheid” usw. nur äußere „Instrumente” blieben für politische Hantieren, haben sich lieber mit der Verbreitung von Schlagworten und populistischen Redensarten begnügt, anstatt sich die Aufgabe zu stellen, das Wesen der Sache aufzunehmen, es sich geistig einzuverleiben, wie es möglich geworden war durch die in Achberg vollbrachte geistige Tat. Doch das hätte ja „innere Initiative”, das Niederringen der in Geltungssucht, Ehrgeiz und Eitelkeit wirkenden Egozentrik, es hätte die Anerkennung dieser Tat verlangt.

Und so möchte ich zum Schluss dieser Mitteilungen euch alle herzlich bitten, jetzt den Freunden in Stuttgart mitzuhelfen, dass wir unsere Demokratie-Initiative21 mit dem Volksbegehren und die begleitenden Materialien dort weitestmöglich in Zirkulation bringen können. Bitte setzt euch zur Koordinierung der Dinge vor Ort mit Susanne Volland und Wilfried Hüfler in Verbindung.

Beste Grüße

Wilfried

30. September 2010