new trinity and unity | Die »Finanzkrise« als Signal, den privatisierten Kapitalismus zu revolutionieren


Die »Finanzkrise« als Signal, den privatisierten Kapitalismus zu revolutionieren

Ein »Erinnerungs«- und ein »Gewissensblick« [Albert Steffen] auf den »Aufruf zur Alternative« [Joseph Beuys] in der Weihnachtsausgabe der Frankfurter Rundschau vom 23. Dezember 1978

Man hat geglaubt, durch den Zusammenbruch des Kommunismus habe der Kapitalismus gesiegt. Aber das ist ein historischer Irrtum und dazu ökonomisch falsch. Trotzdem hat dieser Glaube ein Jahrzehnt die Wirtschaftswissenschaften und die Politik beherrscht. Niklas Luhmann hatte Recht, als er damals meinte, man könne höchstens sagen, dass der Sozialismus früher als der Kapitalismus zusammengebrochen sei. Richtig ist ein Mittelweg, die soziale Marktwirtschaft. Sie aber mit dem Kapitalismus zu verwechseln, wäre fatal.

Heiner Geißler [ehem. Generalsekretär der CDU und Familienminister]
in einem Interview mit O. Georgi in FAZ.NET am 16. 10. 08

Das begriffliche Glasperlenspiel des Systemsoziologen Luhmann und noch mehr des Politikers Geißler ist ein Beitrag zur Bewussteinsverwirrung der Zeitgenossenschaft. Etwas zur Aufklärung der Sachverhalte können die nachstehenden Gedanken und TextQuellenhinweise beitragen.

Wilfried Heidt

Nachdem 1989 die Chance verspielt wurde, mit der Devise »Wir sind das Volk« nicht nur den »staatsmonopolistischen Kommunismus«, sondern - »volks-demokratisch« - zugleich auch den privatisierten Kapitalismus zu »revolutionieren«, statt seinen Strategen am 9. November besinnungslos in die parlamentarische Falle zu tappen, frohlockten die Ideologen aller »liberal-«, »sozial«- oder »christ-demokratisch« gefärbten Richtungen: nun gebe es keine Zweifel mehr, wer »Sieger der Geschichte« sei im Kampf der Systeme nach dem II. Weltkrieg. Man wähnte sich auf der sicheren Seite und meinte, alle seit dem 19. Jahrhundert ihr Unwesen treibenden linken »Gespenster« seien endgültig verscheucht.

Nun hat sie alle ihre auf Täuschung und Selbsttäuschung aufgebaute Propaganda eingeholt. Ihr Kartenhaus ist zusammengebrochen. Sie können den Bankrott des von ihnen für sakrosankt erklärten Systems der privat-kapitalistisch und partei-parlamentarisch organisierten [»sozialen«] MarktWirtschaft und ihres monetären Sub- oder besser Hybrid-Systems [in der doppelten Bedeutung des Wortes; siehe >> Wikipedia] nicht mehr vertuschen.

Zwar werden sie weiterhin versuchen, den Menschen Sand ins Denken zu streuen, um sie weiterhin bei der Stange zu halten. Doch das wird nur noch solange gelingen, als trotz des Offenbarungseides ihres WeltfinanzCasinos, von dem sie noch immer behaupten, es sei unabdingbar für den erreichten Stand der Entwicklung der Globalisierung - obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist -, noch immer nicht genügend Zeitgenossen aufwachen und die längst für jeden im Erkennen erreichbaren Alternativen prüfen.

I.
Ich habe schon seit Mitte der siebziger Jahre, gestützt auf die Arbeitsergebnisse von Rudolf Steiner, Eugen Löbl und Wilhelm Schmundt in zahlreichen Publikationen dargestellt, wie wir das monetäre System denken müssen, um es als Kreislaufsystem wesensgemäß mit der Wirtschaft und den anderen Systemen im sozialen Organismus verbinden und diesen Zusammenhang freiheitlich und demokratisch gestalten müssen, damit es den Erfordernissen des Ganzen optimal dienen kann.

1978 gab es sogar die Chance, dass die dabei maßgebenden Erkenntnisse einer großen Öffentlichkeit mitgeteilt werden konnten. Denn die Tageszeitung Frankfurter Rundschau veröffentlichte in ihrer Weihnachtsausgabe den »Aufruf zur Alternative«. Mein Freund und Mitarbeiter, der Künstler Joseph Beuys, bekam damals von der FR das Angebot, auf einer ganzen Seite des Blattes das darzustellen, was ihm zu seinem Begriff von der »sozialen Plastik« für die große Öffentlichkeit vorzubringen am wichtigsten erschien. In einer >> »kollegialischen Zusammenarbeit« [Steiner, 1.8.1920] gelang das Werk und wurde - jetzt vor bald 30 Jahren - zum vereinbarten Termin publiziert.

>> Aufruf zur Alternative, FR vom 23. Dezember 1978 [pdf]
>> Peter Iden zum Aufruf, FR vom 23. Dezember 1978 [pdf]

Der »Aufruf« ist die kürzeste und kompakteste Gesamtdarstellung der Grundzüge der Alternative des dritten Weges als die einer nachkommunistischen und nachkapitalistischen Ordnung. Damals hatten Hunderttausende diese »frohe Botschaft« einer »Revolution der Begriffe« - als Voraussetzung für eine dann daran ausgerichtete »Evolution der Verhältnisse« [Wilhelm Schmundt] - mit der Weihnachtsausgabe der Frankfurter Rundschau in die Hand bekommen. Revolution und Evolution! Denn nicht der Kapitalismus an sich ist das Problem, sondern jener Begriff, der ihn als die auf der »geistigen Arbeit« [E. Löbl] - als den arbeitsteilig assoziierten Fähigkeiten aller Tätigen - und auf der freien unternehmerischen Initiative beruhenden Wirtschaftsweise an die Kategorien des Privateigentums, des Zwangs zum Profit, die Lohnarbeit und an eine seinem Wesen systemwidrige Geldordnung bindet.

Doch bei nur wenigen fiel damals die Saat des neuen Denkens über diesen inneren Zusammenhang und seine notwendigen rechtlichen Konsequenzen nicht unter Dornen, nicht auf steinigen oder sandwüsten-trockenen, sondern auf fruchtbaren Boden. Das heißt: auf das Verständnis traf, dass die Ordnung des zeitgemäß gedachten Kapitalismus, wie sie der »Aufruf« beschreibt, der komplementären Ergänzung mittels eines ebenfalls neu zu denkenden »Kommunismus« bedarf; eines »Kommunismus«, der nicht mehr staatlich, sondern durch eine solche Selbstverwaltung gesamtgesellschaftlich vernetzt zu denken ist, um den Bedarf des sozialen Ganzen - und dazu gehören auch die Staatsaufgaben - mit dem Feld der Arbeitskollektive [der Dienstleistungen, der materiellen und kulturellen »Produktion«] und auch mit dem Finanzierungssystem des Bankwesens, insbesondere mit dessen systemisch relevanten Institutionen zu verständigen und im Blick auf die Gesetzgebungen demokratisch zu legitimieren.

Mit diesem Bild einer Alternative war der »Aufruf« 30 Jahre vor dem jetzt eingetretenen Kollaps des privat-kapitalistischen globalen Finanzmarktes die prophetische Offenbarung einer apokalyptischen Vision, die damals wohl eher als Utopie, als eine Art »Märchen« empfunden worden sein mag.

Heute erweist sich im Licht der Ereignisse die Grundstruktur der von Beuys konfigurierten Idee der Gesellschaft als »sozialer Organismus« als der nachhaltig wirksame Ausweg aus der Sackgasse, in welche der global privatisierte Kapitalismus mit seinem unbegrenzten Wachstumswahn die Menschheit gelockt hat.

II.
Das ist zum Überleben gegen die Kräfte dieses Wahns insbesondere auch aus ökologischen Gründen notwendig. Denn wir können zwar einen »Rettungsplan« gegen den aus den Fugen geratenen Finanzmarkt aus dem Boden stampfen - mit wieviel Illusionen dieser auch behaftet sein mag - aber wir werden machtlos sein gegen den mit Sicherheit bevorstehenden Kollaps des Weltklimas, wenn wir uns nicht ohne weiteren Aufschub vom weltweiten Wachstumszwang der Profitwirtschaft verabschieden.

>> Es geht ums Ganze - Wirtschaftsökologie statt Plünderungsökonomie [pdf]
[zuerst erschienenen Buch in: »Abschied vom Wachstumswahn - Ökologischer Humanismus als Alternative zur Plünderung des Planeten]

Ich hatte schon vor der Veröffentlichung des »Aufrufs« zu dem Beitrag von Beuys für die documenta 1977 - seiner »Honigpumpe am Arbeitsplatz« - das Projekt »Aktion Dritter Weg - Aufbauinitiative - Idee und praktischer Versuch, eine Alternative zu den in Ost und West bestehenden Gesellschaftssystemen zu verwirklichen« mit der oben angegebenen Erkenntnisgrundlage beschrieben.

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Und danach - im Prozess des Entstehens der Partei Die Grünen - mit dem Aufsatz

»Die ökologische Krise als soziale
Herausforderung«

nochmals einen Anlauf unternommen, diese Position für dieses Parteiprojekt programmatisch zu fassen.

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Schließlich habe ich das Thema - etwas umfassender - 1981 in dem Buch

»Die Chance der Befreiung. Eine Meditation in exoterischer Absicht. Ideen zur Emanzipation der Gesellschaft von den sie beherrschenden Mächten. Ein Projekt«

nochmals dargestellt.

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III.
Ehe dann im weiteren Verlauf der achtziger Jahre die Arbeit sich der Erforschung und Entfaltung der Demokratiefrage mit Blick auf »40 Jahre Bundesrepublik Deutschland« und »40 Jahre Deutsche Demokratische Republik« zuwandte.

Die Kulmination dieser Etappe kam mit dem seit 1987 ins Visier genommenen Herbst 1989. Zwischen Frühjahr 1988 und Juni 1989 entstanden die beiden »Memoranden« - das »Achberger« für den Anlass 40 Jahre BRD und das »Weimarer« für den Anlass 40 Jahre DDR [als Doppelprojekt »D 89«]

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Diese Arbeitsergebnisse sind großenteils dokumentiert oder abrufbar auf der Webseite des >> Projektes »Wir sind Deutschland« [Dokumentation]

Ehe dann in Konsequenz der weltgeschichtlichen Ergebnisse und Folgen des Endes der sowjetkommunistischen Zeit in Europa dieser Ideenzusammenhang in den neunziger Jahren mit verschiedenen Beiträgen allmählich übergeleitet wurde hin zur Entwicklung der Europäischen Union [angefangen von der »BodenseeErklärung« anlässlich der Gründung der IG-EuroVision (1999), über ein »Memoranden aus der Zivilgesellschaft« (2004)

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und einer Petition (2007) - auf der >> Webseite der IG-EuroVision - bis zur Studie »Auf der Suche nach der Seele Europas« vom Sommer 2008].

Titelseite: Auf der Suche nach der Seele Europas

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Im Juni ergab sich dann die Herausforderung, die zum »Wiener Appell« und zum >> Projekt »Impuls21 - Europäische Bürgerschaftsbewegung [EBB]« führte und schlussendlich von den Ereignissen um den Zusammenbruch des Weltfinanzmarktes eingeholt wurde. Damit schloss sich der Kreis zu dem Ausgangspunkt der Arbeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und hier insbesondere zum »Aufruf zur Alternative«, Weihnachten 1978.

Wilfried Heidt,

am 16. Oktober 2008, dem Todestag des >> irischen Missionars Gallus


Trackbacks

  1. new trinity and unity | 30 Jahre »Die Grünen« pingbacked Veröffentlicht am 12. Januar 2010 um 18:18

    [...] Buch »Die Grünen«. Personen, Projekte, Programme, 1980 [wurde danach weitergeführt in dem Buch »Abschied vom Wachstumswahn«, 1980]. Eine andere Version war zum Anlass der Bundestagswahl 1980 das Wahlprogramm des Achberger [...]

  2. new trinity and unity | Achberger Rundbrief [ARB], 26. Oktober 2008 pingbacked Veröffentlicht am 18. Oktober 2017 um 21:10

    [...] »Aufruf zur Alternative« in Erinnerung gerufen. Ihr findet diese Erinnerungen dokumentiert auf http://www.wilfried-heidt.de >> Die inanzkrise als Signal den privatisierten Kapitalismus zu revoluti… und auf der Seite http://www.wilfried-heidt.de/beuys-heidt-zusammenarbeit. Letzteres Dokument steht [...]